Wie lange soll das so weitergehen, fragt man sich. Fragen alle. Obwohl wir die Antwort kennen. Lange. Wir werden noch viel herumsitzen, aus dem Fenster schauen, in Bildschirme starren und dabei ins Nichts blicken.
Wir warten darauf, dass der Spuk endlich vorübergeht. Obwohl wir keine Vorstellung davon haben, wie das sein wird – wenn der Spuk vorüber ist. Was wird dann noch da sein, von unserem alten Leben? Wie wird sich das anfühlen? Werden wir erleichtert sein?
Wir werden sehen.
Und in der Zwischenzeit versenden wir wieder lustige Videos über Toilettenpapier, Homeoffice und Hamsterkäufe. Aber wir fürchten auch, demnächst wieder die ersten Särge zu sehen. Die Bilder von den Intensivstationen machen schon wieder in den Nachrichten die Runde. Sind das neue Aufnahmen? Oder hat man die Bilder der nackten Körper hinter Glas vom März genommen?
Wir hören uns selbst beim Denken zu. Öfter als früher. Wir lauschen unseren Gedanken und hören den anderen zu, wie sie sich Mut zusprechen, gegenseitig auf die Nerven gehen, sich Sorgen machen, verzweifeln, Hoffnung schöpfen und gleich wieder verlieren.
Alle, die nicht außer sich sind vor Wut – oder gänzlich abgestorben –, suchen positive Meldungen. Es sind nur wenige. Das gemeinsame Singen, das Klatschen, es fehlt. Obwohl, damals fanden wir es albern. Auch die Zettel im Treppenhaus fehlen, auf kariertem Papier, in denen älteren Nachbarn Einkaufshilfe angeboten wurde, akkurat geschrieben mit einer kindlichen Handschrift.
Alle sind froh über ein Zeichen, dass irgendwo, irgendjemand an sie denkt. Egal wer. Familie, Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen, Kunden, selbst Fremde. Nicht zu vergessen: der Staat, ja, der Staat – auch da freuen sich die Menschen, dass er jetzt an sie denkt.
Plötzlich spüren alle den Unterschied – zwischen allein sein und alleingelassen werden. Für manche eine neue Erfahrung. Für andere Normalzustand.
Und mit jeder Woche werden die Unterschiede spürbarer. Auch klar. Wieso der, wieso nicht ich? Wir unterscheiden und werden unterschieden. Achten argwöhnisch auf das, was weniger wird, und auf das, was mehr wird.