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Ein Gespräch mit Wladimir Klitschko über den Wert von Niederlagen.

Beim Stichwort Fehlerkultur, denkt man nicht unbedingt an den Vorzeige-Boxer Wladimir Klitschko, dem längsten amtierenden Weltmeister im Schwergewicht. Aber in dem Interview, das ich mit ihm geführt habe, erfahren Sie, welchen Wert Niederlagen haben können.

Was haben Sie aus Ihren Fehlern gelernt, Dr. Klitschko?


Dr. Wladimir Klitschko über das Positive am Verlieren, den Wert von Willenskraft und darüber, warum es so wichtig ist, sich Herausforderungen aktiv zu stellen.

Dr. Klitschko, als Amateurboxer haben Sie bereits 1996 bei den Olympischen Spielen in Atlanta die Goldmedaille geholt und als Profi sind Sie der am längsten amtierende Weltmeister im Schwergewichtsboxen – da denken wahrscheinlich wenig Leute beim Thema Fehler oder Rückschläge gerade an Sie?

„Das mag sein, aber in meiner Karriere gab es auch Niederlagen, die weh taten. Von 69 Kämpfen in meiner Laufahn als Profi habe ich 64 gewonnen und fünf verloren. Auch wenn Niederlagen immer schmerzhaft sind: Jede einzelne hat mich persönlich weitergebracht. Ich bin überzeugt davon, dass jeder Mensch Fehler macht und Niederlagen erleidet – früher oder später. Aber wie jeder für sich damit umgeht, das macht den Unterschied.“

Wie genau gehen Sie denn mit Niederlagen um?

„Ich unterscheide zwischen Fehlern und Niederlagen. Wenn ich ein gestecktes Ziel nicht erreiche, ist das zunächst eine Niederlage. Aber ist das auch ein Fehler? Nicht zwangs- läufig. Sind die letzten beiden Kämpfe meiner Karriere Fehler gewesen, weil ich sie verloren habe? Nein, waren sie nicht. Gerade der letzte Kampf gegen Anthony Joshua hat mir gezeigt, dass ich den Ring selbst zwar nicht als Gewinner verlassen, aber mich trotzdem nicht als Verlierer gefühlt habe.“

Meinen Sie, dass Ihr Publikum das auch so sieht?

„Ich glaube schon. In den vielen Jahren des Siegens wurde mir nicht so viel Respekt zuteil wie nach der Niederlage gegen Anthony Joshua. Mein Ziel, wieder Weltmeister zu werden, habe ich in dieser Nacht zwar nicht erreicht, aber auch die Niederlage war wichtig; sie hat meinen Blick auf mich selbst verändert und darauf, wie andere mich sehen. Ich habe nicht den Kampf gewonnen, aber die Achtung der Fans.“

War es nicht trotzdem schmerzhaft, diesen Kampf zu verlieren?

„Jein. Noch in der Nacht des Kampfes, noch im Ring, spürte ich, dass ich mir trotz Niederlage etwas verschafft hatte. Die Menschen haben gesehen, dass ich von meinem Ziel besessen war. An diesem Abend hat das nicht zu einem Sieg gereicht und doch war da diese Achtung, die mich wie einen Sieger fühlen ließ. Mich endgültig vom Profi-Boxen zu verabschieden war trotzdem ein harter Schritt – die größte Heraus- forderung meines bisherigen Lebens. Ich kann nicht beurteilen, ob das nach einem Sieg anders gewesen wäre …“

Um was geht es denn, wenn nicht um den Erfolg?

„Erfolg ist wichtig. Natürlich. Trotzdem kann man Erfolge eben auch anders verbuchen. Auf persönlicher Ebene. Zu viele Menschen setzen auch Erfolg und Geld gleich …“

„Die Niederlage hat meinen Blick auf mich selbst verändert.“

Heißt es nicht: Geld ist die ehrlichste Form der Anerkennung?

„Da ist etwas Wahres dran ... (lacht) Aber wenn es mir nur ums Geld ginge, hätte ich mit Sicherheit einen Rückkampf gegen Anthony Joshua in Las Vegas arrangiert und würde heute vielleicht immer noch Geld verdienen, indem ich mein Gesicht für Werbung hinhalte.“

Machen Sie nicht auch Werbung?

„Das ist schon viele Jahre her. Damals hatte mir die Idee der Werbung gefallen, aber ich habe gespürt: Das ist nicht das, was mich nachhaltig erfüllt.“

Was erfüllt Sie denn?

„2012 verstarb mein Mentor und Trainer Emanuel Steward überraschend während meines Trainingscamps. Sein Wissen ging damals mit ihm. Natürlich tragen wir sein Wissen und seine Erinnerung in uns weiter, aber ich wünschte, ich hätte seine Fibel, seine Gedanken als Buch – und nicht nur das, was ich interpretiert habe. Deshalb möchte ich dokumen- tieren, was ich tue. Ganz exakt. Und wenn das dann jemandem hilft, dann hat es seinen Zweck erfüllt. Und dann hat auch mein Leben seinen Zweck erfüllt. Dann bin auch ich erfüllt.“

Glauben Sie, dass Ihr Wissen auch ganz normalen Menschen nutzt?

„Davon bin ich überzeugt. Mit der aus meiner Lebenshaltung ‚Challenge Management‘ entwickelten Methode F.A.C.E. the Challenge schult ein erfahrenes Team aus Mentoren Menschen, die gerade vor einer heraus- fordernden Situation stehen. Mit F.A.C.E. kann jeder die Schlüsselfähigkeit Willenskraft entwickeln und diese zur Lösung seiner Herausforderung positiv einsetzen. Dabei ist es egal, ob die ‚Challenge‘ dem unternehmerischen oder dem persönlichen Umfeld entspringt.“

Und das funktioniert auch?

„Ja. Mit der F.A.C.E.-Methode gelingt es jedem, eine bessere Version von sich selbst zu werden. Um nicht weniger und auch nicht mehr geht es: Keiner soll werden wie ein anderer, jeder hat sich selbst bzw. das beste „Selbst‘ als Ziel. Sobald Menschen anfangen, nicht mehr Probleme, sondern Herausforderungen zu sehen und gleichzeitig den Mut haben, diese aktiv und mit Willenskraft anzugehen, kann nicht mehr viel schiefgehen auf dem Weg zur besten Version von sich.“

Das klingt nach einem Weltverbesserer?

„Ach, ich möchte gar nicht die Welt verbessern. Was ich aber möchte, ist, dass Menschen mit mehr Leichtigkeit auch schwierige Momente überwinden lernen. Dann ist schon viel gewonnen und wir können mit neuem Optimismus durchstarten – und vielleicht gelingt es uns dann doch auch, die Welt ein bisschen besser zu machen.“


Dr. Wladimir Klitschko ist der am längsten amtierende Boxweltmeister im Schwergewicht der Geschichte. Zwischen 2005 und 2015 verlor er keinen einzigen Kampf und hielt in dieser Zeit den Weltmeistertitel von drei der vier größten internationalen Boxverbände.

1976 kommt Wladimir Klitschko in der Sowjetunion zur Welt. 1990 zieht er in ein Sportinternat. Bereits 1993 feiert er mit dem Sieg bei der Junioren-EM den ersten internationalen Erfolg im Amateurboxen. Drei Jahre später gewinnt er bei den Olympischen Spielen in Atlanta die Goldmedaille im Superschwergewicht. Danach wagt er zusammen mit seinem Bruder Vitali den Sprung ins Profiboxen. Im Herbst 2000 wird er zum ersten Mal Weltmeister im Schwergewicht, beendet 2001 seine Promotion in Sportwissenschaften und verteidigt seinen Weltmeistertitel anschließend fünfmal in Folge. Nach- dem er den Kampf gegen den Briten Tyson Fury im November 2015 verliert und im April 2017 auch gegen dessen Landsmann Anthony Joshua, gibt er drei Monate später das Ende seiner Karriere als Boxprofi bekannt.

Jetzt geht es ihm darum, Menschen die Schlüsselfähigkeit Willenskraft zu vermitteln und sie darin zu befähigen, positiv mit Herausforderungen umzugehen. An der Universität St. Gallen hat er 2016 den Weiterbildungs- studiengang CAS Change   Innovation Management initiiert, der inzwischen erfolgreich im dritten Jahr gelehrt wird, und arbeitet heute darüber hinaus daran, seine Methode F.A.C.E. the Challenge in Unternehmen und bei Managern zu verbreiten. Parallel dazu setzt er sich seit der Gründung 2003 gemeinsam mit seinem Bruder Vitali in der „Klitschko Foundation“ dafür ein, die Zukunftsaussichten junger Menschen aus ganz verschiedenen kulturellen Backgrounds zu verbessern.



Peter Goldammer / Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. / Impressum / Datenschutz / Cookie-Einstellungen