Juni 2020

Was man von der
Kommunikation mit der
Polizei lernen kann.

Am letzten Samstag im Januar erledigte ich ein paar Einkäufe mit meiner Frau. Auf dem Heimweg bat sie mich, kurz bei der Reinigung zu halten. Einen Parkplatz direkt vor der Tür gab es nicht, ich hielt in zweiter Reihe, schaltete den Warnblinker an und wartete. Keine Minute war vergangen, als neben mir ein Polizeiwagen anhielt. Der Polizist auf dem Beifahrersitz gab mir ein Zeichen, die Scheibe herunterzulassen.

„Welche Art von Unfall haben Sie denn?“, fragte er mich gereizt. „Ich warte kurz auf meine Frau, die ist sofort zurück!“, antwortete ich betont freundlich. „Sie wissen, dass Sie Ihr Warnlicht nur bei einem Unfall benutzen dürfen“, erwiderte er mit metallischem Klang in der Stimme. „Entschuldigung! Ich fahr sofort weiter“, sagte ich daraufhin und glaubte, damit sei die Sache erledigt. Doch der Herr Polizeiobermeister war noch nicht fertig mit mir: „Die Warnblinkanlage ist nicht zum Parken in der zweiten Reihe da, das ist Ihnen klar?“ Gequält lächelnd stierte ich ins Nichts. „Haben Sie mich verstanden? Sie riskieren zwei Bußgelder: eins für den Warnblinker, eins für die zweite Reihe!“ In meinem Kopf ratterte es: War mir eine pampige Antwort einen Strafzettel wert? In diesem Augenblick stieg meine Frau ein. Sie lächelte den Polizisten an. Ohne einen Ton zu sagen, ließ der Beamte die Scheibe hochfahren und fuhr mit seinem Kollegen davon. „Was war das denn?“, fragte meine Frau.

Ich fuhr los und antwortete: „Die vier Ebenen der Kommunikation“, woraufhin meine Frau mit den Augen rollte.

Der Psychologe und Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun hat uns gelehrt, dass das Senden und Empfangen von Botschaften auf vier Ebenen geschieht. Mit jeder Nachricht übermittelt man einen Sachinhalt. Dieser ist aber nicht die einzige Botschaft, die man sendet. Man kommuniziert auch auf der Beziehungsebene, auf der man definiert, in welcher Beziehung man sich zu der Person sieht. Drittens sendet man auch eine Selbstoffenbarung; man gibt beim Kommunizieren Auskunft, wie man sich selbst sieht. Und viertens übermittelt man einen Appell, was der andere tun oder lassen soll.

Im Falle der Familie realisieren wir oft, dass unsere Kommunikation auf mehreren Ebenen funktioniert. Die rollenden Augen meiner Frau enthielten Botschaften auf allen Ebenen: Auf der Sachebene machte sie mir klar, dass sie sich kein Manplaining zum Thema Kommunikation anhören wollte. Ihre Selbstoffenbarung lautete: „Ich brauche keine Belehrungen!“ Auf der Beziehungsebene zeigte sie mir, dass wir nicht viele Worte machen müssen, um uns zu verstehen. Und der Appel an mich war klar: Nerv jetzt nicht!

Bei der Kommunikation mit Fremden blenden wir jedoch häufig aus, dass wir mehrere Botschaften senden und empfangen. Auf der Sachebene redeten der Polizist und ich komplett aneinander vorbei: Natürlich hatte der Polizist nicht gedacht, dass ich einen Unfall hatte. Und ich wusste sehr wohl, dass man nicht in der zweiten Reihe parken darf und es auch nicht erlaubt ist, die Warnlichtanlage für das Falschparken zu nutzen.

Unsere eigentliche Kommunikation fand auf anderen Ebenen statt. Seine Selbstoffenbarung lautete: Ich kann mit dir wie mit einem Kind reden – wenn ich will! Die Botschaft, die er mir auf der Beziehungsebene sendete, hieß schlicht: Ich hab hier die Macht! Der Appell an mich war: Unterwirf dich mir oder es gibt Ärger.

Selbst in der Kommunikationsbranche wird immer wieder übersehen, dass es bei der Kommunikation nicht allein um den Austausch von Informationen auf der Sachebene geht. Es geht auch dort oft nur um die Frage: Wer hat eigentlich das Sagen?

Wenn ein CEO auf der Aktionärsversammlung spricht, ist sein oberstes Ziel nicht der Austausch von sachlichen Informationen über sein Unternehmen – was man eigentlich meinen sollte. Auch hier geht es um Selbstoffenbarung und Beziehungen. Seine Rede hat die gleiche Funktion wie der Auftritt des Polizisten. Es soll die eigene Überlegenheit demonstrieren und klarmachen, wo man in der Hierarchie steht: nämlich oben.

Diese Funktion der Kommunikation wird selten öffentlich diskutiert. Wer bekennt sich schon dazu, Macht über andere erlangen zu wollen? Das widerspricht unserem westlichen Ideal von Gleichheit. Genau deshalb ist es wichtig, das Thema zur Sprache zu bringen.
Das Thema hat tragische Aktualität erlangt

Mein Aufeinandertreffen mit der Polizei hatte keine Folgen, außer einem längeren Kopfschütteln. Für den 46-jährigen George Floyd endete die Begegnung mit der Polizei tödlich. Der Grund: Er war Afro-Amerikaner, und das Gespräch fand in Minneapolis statt.

Wenn man die aufgezeichneten Dialoge zwischen George Floyd, der Polizei und den in der Nähe stehenden Passanten verfolgt, wird deutlich, dass die Polizisten an keiner Stelle einen wirklichen Dialog suchten. Sie hörten weder auf das, was der am Boden Liegende sagte, noch reagierten sie auf die Einwürfe der umstehenden Passanten. Einer der Polizisten rief den Umstehenden zu: „Das passiert, wenn man mit Drogen handelt!“ Georg Floyd wurde jedoch nicht des Drogenhandels verdächtigt; man warf ihm vor, einen gefälschten Zwanzigdollarschein in Umlauf gebracht zu haben.

Es wurde einfach nicht kommuniziert, deshalb schien zu keinem der Polizisten durchzudringen, was gerade geschah: Ein Mensch starb. Er musste mit seinem Leben bezahlen, dass die amerikanische Polizei ein System geschaffen hat, indem es keinen Platz für Verständigung gibt. Die Polizei wähnt sich im Krieg. Und Afro-Amerikaner stehen unter Generalverdacht, die Feinde zu sein.

Der amerikanische Sachbuchautor Malcom Gladwell beschrieb dazu in seinem Buch, Die Kunst, nicht aneinander vorbeizureden, den Fall der jungen Sandra Bland. Auch sie war Afro-Amerikanerin. 2015 wurde sie in Texas von der Polizei angehalten, weil sie beim Spurwechsel nicht geblinkt hatte. Auch in diesem Fall funktionierte die Kommunikation nicht. Officer Brian Encinia und Sandra Bland redeten aneinander vorbei. Die Situation schaukelte sich hoch und eskalierte schließlich darin, dass Sandra Bland zu Boden gestoßen wurde und in Handschellen ins Gefängnis kam. Alles an dem Tag, an dem sie sich in der Prairie View University – wo sie ein paar Jahre zuvor selbst studiert hatte, um einen Job beworben hatte, für den sie noch im Bewerbungsgespräch eine Zusage erhielt. Sie befand sich, bestens gelaunt, auf den Weg zurück nach Hause, als Sie von der Polizei angehalten wurde.

Statt ihren neuen Job anzutreten, kam sie ins Gefängnis. Nach drei Tagen Haft und vergeblichen Versuchen, die 5000 Dollar Kaution aufzubringen, beging sie im Gefängnis Selbstmord.

Starben Sandra Bland, Georg Floyd und all die anderen Afro-Amerikaner weil sie die vier Ebenen der Kommunikation nicht kannten? Natürlich nicht. Die Ursache ist systemischer Rassismus. Doch muss man sich gerade deshalb fragen, wie dieses System funktioniert, was hält es am Leben? Fehlgeleitete Kommunikation spielt dabei eine wichtige Rolle.

Malcolm Gladwell schreibt dazu, dass wir immer, wenn Begegnungen schiefgehen, weil wir nicht wissen, wie man mit dem anderen spricht, dem anderen die Schuld geben. Hier beginnt bereits das Problem. Wir sollten früher nach den Ursachen suchen und uns fragen, wieso Kommunikation nicht für Verständigung sorgt?

Ohne gegenseitiges Verständnis werden Unbekannte zu Fremden. Fremde, auf die Ängste und Aggressionen projiziert werden und die dadurch schnell als Bedrohung empfunden werden. Eine empfundene – nicht reale – Bedrohung, aus der heraus zu oft Gewalt entsteht – manchmal sogar tödliche.

Nicht-Kommunikation ist nicht das kleine Problemchen, für das es viele halten. Nicht zu kommunizieren bedeutet den Abbruch der Verbindung zu unseren Mitmenschen. Das führt zu einer wachsenden Entfremdung. Die Folgen davon sind immer verheerend.



Peter Goldammer / Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. / Impressum / Datenschutz / Cookie-Einstellungen